Lange Nacht der Philosophie 2.0

16. November 2017, 17:00-22:00 Uhr

 

Museum der Wahrnehmung im Rahmen der Reihe „Wahrnehmung gestaltet die Welt“

Vom Wahrnehmen zum Urteilen

Auf Einladung des Hauptveranstalters der Langen Nacht der Philosophie, des Verlages Filosofica, Herausgeber des Philosophiemagazins Abenteuer Philosophie und der Grazer Organisation Treffpunkt Philosophie – Neue Akropolis Stadt www.neueakropolis.at nahm das Museum der Wahrnehmung MUWA heuer erstmals als Kooperationspartner teil.

 

 

Das Programm und die Inhalte werden von Mag.a Alfreda Draxler im Rahmen der Reihe "Wahrnehmung gestaltet die Welt" konzipiert.

 

Im Museum der Wahrnehmung MUWA fand eine Führung zu den Wahrnehmungsinstallationen statt.

Anschließend hielt Kultur- und Medientheoretiker Prof. Dr. MARC RIES einen Vortrag zum Thema Wo leben sie denn nun, die Pokémon? In der Nähe!

 

 

Vom Wahrnehmen zum Urteilen

 

Programm und Inhalte:

 

17.00 Uhr: Begrüßung und Einführung

 

17.15 Uhr: Führung zu den Wahrnehmungsinstallationen

 

Das Museum der Wahrnehmung ist mit seinen Wahrnehmungsinstallationen auf Innehalten und Achtsamkeit hin konzipiert; Die TeilnehmerInnen lernen, die eigene Wahrnehmung zu reflektieren und kommunizieren.

 

Die Installationen versuchen drei Zielsetzungen zu vereinen: Sie zielen darauf ab, individuelle Wahrnehmung zu entwickeln und zu schärfen und persönliche Wahrnehmungsfilter abzulegen. Zugleich thematisieren sie die Wirkungsweise sozialer und kultureller Wahrnehmungsfilter und machen damit den interkulturellen Aspekt der Wahrnehmung deutlich. Und sie versuchen schließlich zu vermitteln, dass eine entwickelte Wahrnehmung der Vielfalt persönlicher Wirklichkeiten und interkultureller Realitäten die Basis schafft für einen gemeinschaftlich ökologischen solidarischen Umgang mit der einen uns gemeinsamen Welt.

 

Als Einstieg steht die Auseinandersetzung mit der grundsätzlichen Frage nach der Wirklichkeit, anhand des Benham-Experiments, einer schwarz-weißen Scheibe, die in Drehung versetzt, viele Menschen Farbe erkennen lässt. Alle Wahrnehmungsinstallationen verweisen auf einen speziellen Bereich der Wahrnehmung und seiner kulturspezifischen Verarbeitung. So ermöglicht der Mixed Identity Mirror, ein halbdurchlässiger Spiegel mit Lichtreglern, die einmalige Erfahrung der Überlappung und damit "Vermischung" von zwei Gesichtern und der unmittelbaren, permanenten Reaktion des Gegenüber, die den Aspekt individueller und zugleich sozialer Auseinandersetzung des ICH mit dem DU verbindet. Optische Täuschungen, subjektive Wahrnehmung, Wirklichkeit und Wirklichkeiten, objektiv und subjektiv – das sind wesentliche Bereiche der Auseinandersetzung mit den Wahrnehmungsinstallationen.

 

Das Museum der Wahrnehmung MUWA hat im Rahmen seiner 25-jährigen Geschichte in der Arbeit mit Gruppen immer wieder gesellschaftliche Veränderungen feststellen können und unterstreicht damit einmal mehr seinen Leitsatz, dass die Erfahrung der Besucherinnen und Besucher im Mittelpunkt stehen soll. Der Schwerpunkt der Führung zielt auf das Erleben durch die Sinne; über die sinnliche Wahrnehmung erleben die TeilnehmerInnen subjektive Wirklichkeiten – diese zu verstehen und mitzuteilen braucht es einer sprachlichen Gestaltung.

 

Die Verknüpfung Wahrnehmung - Wirklichkeit - Sprache fördert das Bewusstsein, dass Wahrnehmung ein Prozess individueller und gemeinschaftlicher Inszenierung von Wirklichkeit ist.

 

Diesen gemeinschaftlichen Aspekt der „Konstruktion von Wirklichkeit“ hat Ernst von Glasersfeld - mit dem Kybernetiker Heinz v. Foerster einer der bedeutenden Vordenker konstruktivistischer Erkenntnistheorie - hervorgehoben: „Was wir zumeist als objektive Wirklichkeit betrachten, entsteht in der Regel dadurch, dass unser eigenes Erleben von anderen bestätigt wird.“ Wahrnehmung meint dabei nicht passives Abbilden, sondern aktives Gestalten von Welt, durch das individuelle und gemeinschaftliche Verantwortung geschaffen wird.

 

 

18.45 Uhr: Vortrag von Prof. Dr. Marc Ries

HfG University of Art and Design, Vicepresident Sociology und Mass Media Theory

 

Wo leben sie denn nun, die Pokémon? In der Nähe!

 

Freud hat in einem kleinen Text zum Phänomen der »Verneinung« über das Urteilen nachgedacht. Es gehe im Akt des Urteilens auch um eine Art »Realitätsprüfung«, darum, »ob etwas im Ich als Vorstellung Vorhandenes auch in der Wahrnehmung (Realität) wiedergefunden werden kann. Es ist, wie man sieht, wieder eine Frage des Außen und Innen.« Freud folgert, dass alle unsere Vorstellungen, also all unsere inneren, subjektiven, nichtrealen Bilder, auch die Traumbilder, von Wahrnehmungen abstammen, Wiederholung derselben sind. »Ursprünglich ist also schon die Existenz der Vorstellung eine Bürgschaft für die Realität des Vorgestellten.« Die Realitätsprüfung wird also nicht versuchen, »ein dem Vorgestellten entsprechendes Objekt in der realen Wahrnehmung zu finden, sondern es wiederzufinden, sich zu überzeugen, dass es noch vorhanden ist.«

 

Diese, für die Psychoanalyse und ihr Thema des Erinnerns und Wiederfindens wichtige Koppelung von Urteil und Wahrnehmung erleidet in der Gegenwart einen Riss. Denn was passiert mit der Realitätsprüfung, wenn uns Bilder erscheinen, die als Substitute unserer inneren Bilder bzw. als Simulation unserer Wahrnehmung auftreten und also die Frage nach dem Außen sich gar nicht mehr stellt? Diese Neuen Bilder, die aus puren Datensätzen konfigurierten Bildobjekte, die allererst in der Postproduktion generierten Effekt-Bilder, die Bildräume der VR- und AR-Techniken, sie alle bewegen sich in einem »Jenseits« der Repräsentation, der Fiktion, der Narration. Und dennoch werden viele, sehr viele von ihnen überwältigt, verlassen die Realität ihrer körperlichen Wahrnehmung zugunsten der Wahrnehmung einer künstlichen Realität. Bedeutet dies, dass auch das Urteilen aussetzt, wir in eine urteilsfreie Zone kippen? Ist die Occulus-Rift Brille und ihre Geschwister Teil einer technologischen Evolution, die uns in einen neuen Solipsismus drängt, oder wird ihre Verwendung nicht viel eher Interferenzen von Körper und Technik ermöglichen, die auch eine neue Kritik der Urteilskraft vorstellbar macht? Jedenfalls ist das Mathematisch-Erhabene der diese Neuen Bilder fundierenden Algorithmen ein noch wenig befragtes Feld. Und vielleicht lassen sich die Pokémon und all die anderen Avataras doch auch irgendwo in der Nähe wiederfinden?

 

 

19.30 Uhr: Diskussion mit dem Vortragenden Prof. Dr. Marc Ries zur Themenstellung des Abends: „Vom Wahrnehmen zum Urteilen“