ELISABETH KRAMPE, DEUTSCHLAND

"papier - faltung - schmuck"

 

Ausstellung in der MUWA-Galerie im ersten Stock: 12.11.2016-05.03.2017

 

 


Ausstellungsbericht in der KLEINEN ZEITUNG vom 2.12.2016

von WALTER TITZ


Ausstellungsbericht in der KRONENZEITUNG vom 21.11.2016 von MICHAELA REICHART

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


 

KATRIN BUCHER TRANTOW, stv. Leiterin und Chefkuratorin am Kunsthaus Graz führte im Rahmen der Eröffnung am 11. November 2016 mit der Künstlerin ein Gespräch

 

Ausstellung in der MUWA-Galerie im ersten Stock: 12.11.2016-05.03.2017

 

 

ELISABETH KRAMPE
"papier - faltung - schmuck"

In dieser einzigartigen Zusammenstellung zeigt die Nürnberger Künstlerin ELISABETH KRAMPE in der Galerie im Halbstock des Museums der Wahrnehmung MUWA ihren Weg der vergangenen dreißig Jahre durch die konstruktive und konkrete Kunst, ihre Selbstbehauptung und ihr Bekenntnis zu einer Poesie, die in vielfältiger Weise den Ausdruck ihres Halsschmuckes prägen. Zu ihrem poetischen Zugang und zu ELISABETH KRAMPES kühnen Faltungen aus Ölpapier, aus Wachs-, Foto- und Seidenpapier in jeweils mindestens eintausendfünfhundert Papierschnitten meinte Marlene Jochem im Katalog des Theodor-Zink-Museums Kaiserslautern: „Zarte Papiermembrane verschleifen zu schmiegsamen, weichen Gebilden; [...] Die Wiederholung wird scheinbar ins Unendliche gesteigert, wenn sich Formen zum Rund verbinden ohne Anfang und ohne Ende.“

Tatsächlich gleicht keine der Arbeiten ELISABETH KRAMPES einem anderen Stück ihrer Sammlung: Jedes Mal legt das Rund der samtweichen bis spröde anmutenden Körper sich organisch um den Hals ihrer Trägerinnen, wölbt sich in Folge der Faltungen eine Negativform und zeigt bis dahin versteckt scheinende Spuren und Eingriffe in seiner Form. Es zeigt sich ein Schlitz, eine kaum merkbare Färbung des schwarzen Papier-Colliers in kräftigem Rot, zwischen mattem Schwarz schimmert der Glanz eines griffigen, harten Fotopapiers aufblitzend wie das Licht auf der Wasseroberfläche des Meeres. Manches erinnert an einen japanischen Schrein, die verborgene Schrift aus einem alten Buch leuchtet auf und die Frage, ob die Erinnerung an bunte Atlanten täuscht, bleibt unbeantwortet.

Es ist augenscheinlich, dass ELISABETH KRAMPE, 1953 in Münster geboren, sich in der Ausstellung im MUWA ausschließlich den Variationen ihres Halsschmuckes aus Papier und nur aus Papier widmet. Auch wenn Faltungen aus Edelmetall manch anderem wertvoller erscheinen mögen, auch wenn ELISABETH KRAMPE abertausende Papierstücke in wechselnden Formen mit der Schere ausschneidet, faltet und zu neuen Körpern formt, macht sie bewusst, dass ihre Arbeit, so aufwändig sie auch sein mag, hinter der Anmut ihrer Trägerinnen zurücktritt.

Auch wenn sie über die notwendigen Kenntnisse verfügt, auch wenn Faltungen aus Edelmetall manch anderen wertvoller erscheinen mögen, ELISABETH KRAMPES Kunst ist eine tragbare Kunst.

Werner Wolf


ELISABETH KRAMPE
"paper - folding - jewellery"

ELISABETH KRAMPE, artist from Nuremburg, shows in this singular compilation in the gallery upstairs of the Museum of Perception MUWA her development of the past thirty years through constructive and concrete art, her competing and her commitment to a poetry which characterize the expression of her jewellery for the neck in a manifold manner. Marlene Jochem remarked in the catalogue of the Theodor-Zink-Museum Kaiserlautern regarding the poetic approach of ELISABETH KRAMPE and her audacious foldings of oil-, wax-, photografic- and tissue-paper of at least one thousand five hundred paper cuttings: "Delicate paper membranes scatter to pliant, soft structures; [...] The repetition seems to be increased to infinity when shapes get connected to the circular form without beginning without end.


In fact none of the works of ELISABETH KRAMPE is similar to another piece of her collection: Every time the circular form of the bodies appearing from soft to rough is twisted organically around the neck of the person wearing it, bends as a result of the foldings to a negative shape and shows former hidden traces and interventions in his shape. A slot appears, a coloration hardly appreciable of intensive red on the black paper necklace, the gloss of stable, firm photografic paper shimmers between dull finished black flashing like the light on the surface of the sea. Some things remind of a japanese shrine, the hidden scripture of an old book illuminates and the question if the reminiscence of coloured atlases bluffs remains without reply.


It is obvious that ELISABETH KRAMPE, born in 1953 in Münster, concentrates in the exhibition in the MUWA exclusively on the variations of her neck jewellery of paper, merely out of paper. Even if somebody may think about foldings of precious metal appearing more valuable, and even if ELISABETH KRAMPE is cutting out with scissors thousands of paper pieces in different shapes, folding and transforming them to new structures, she makes aware that her work, in spite of the labour input, comes second behind the grace of individuals wearing them.


Despite the required knowledge she possesses and even if foldings out of precious metal seem more valuable to somebody else, the art of ELISABETH KRAMPE is wearable art.

Werner Wolf

 

 

 

KATRIN BUCHER TRANTOWIM GESPRÄCH

MIT ELISABETH KRAMPE

 

Katrin Bucher Trantow (K.B.): Vielen Dank, liebe Eva Fürstner, für diese Einladung, die etwas überraschend für mich kam, aber meinen Horizont auch wieder einmal in eine andere Richtung gestreckt hat. Ich freue mich, für dieses Gespräch hier in der Ausstellung des Instituts für Architektur und Medien zu sitzen, die in einen Aspekt deiner Arbeit einführt und ganz zentral über Faltungen im und am Raum spricht. Wir sehen hier eine herausragende Ausstellung von Arbeiten von StudentInnen der TU, die über das Falten von Papier spricht und wir über den Prozess der Faltung nachdenken können, weil wir sie ganz genau sehen. Ich habe mich gestern während meines Ganges durch den Raum gewundert, wie das Erfahren der Faltung mit ihrer Öffnung des Raumes auch den Ausstellungsraum unglaublich aufmacht und ihn erschließen lässt. Das MUWA ist ein Oktogon und ein Oktogon ist ein eingefaltetes Quadrat, das, wenn man die äußersten vier Ecken einmal umbeugt, entsteht. In Gedanken entfaltet sich so die Struktur des Gebäudes, vom Grundriss zum Gebäude. Umso besser finde ich, passt die Konstellation dieser beiden Ausstellungen an diesen Ort. Hierin sehe ich etwas angelegt, worüber ich sprechen möchte: Die Ausstellung heißt „papier – faltung – schmuck“. Also, wir haben zuerst das Material, dann die Technik und schlussendlich, wozu es möglicherweise da ist. Es ist also ein angewandtes oder eben auch ein tragbares Objekt. Wir sehen die Objekte auch hier an Frauen vor Ort getragen, wunderschön. Es ist in dem Sinne ein Objekt, das uns hinschauen lässt, nicht nur auf das Objekt, sondern tatsächlich auch auf seine Trägerin.

 

Über deine Biografie haben wir schon etwas gehört, trotzdem nochmals dazu: Du lebst in Nürnberg und bist seit 1987 in unterschiedlichen Ausstellungen präsent. Du hast an der Akademie der Bildenden Künste Schmuckdesign unterrichtet, bist in unterschiedlichen Sammlungen präsent, unter anderem zum Beispiel im Grassi-Museum in Leipzig, im Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg, in der Lotte-Reimers-Stiftung in Deidesheim, in der Schmucksammlung Haut-de-Cagnes-sur-Mer in Frankreich. Du hast unterschiedliche Preise für deine Arbeiten gewonnen, unter anderem 1989 den Debütantenpreis des Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst in Deutschland.

 

Du machst Schmuck. Was ist das genau, Schmuck? Es schmückt, aber es ist auch ein haptisches Objekt. Ich habe mir die Arbeiten einerseits unter der Bedingung ihrer Objekthaftigkeit angeschaut und mir andererseits Gedanken gemacht, was das Angewandte dabei ist. Dort sehe ich wiederum zwei Richtungen: Einerseits die Tragbarkeit des Objekts und andererseits die Herstellung – so erkennen wir sofort den Prozess, wenn wir die Objekte anschauen.

 

In den 80er Jahren hast du mit diesen Faltungen begonnen. Du hast mir erklärt, es gibt vier Grundformen des Papiers. Es gibt den minimalsten Eingriff - das ist die Faltung des Papiers. Das Papier per se ist ein Ready made, wie wir es aus der Kunst kennen. Ein gefundenes Objekt, ein Objekt, das möglicherweise im Alltag einfach da ist, das danach gefragt hat, verwendet zu werden. Das Ready made wird in deiner Arbeit in die Serie gestellt - die Serie, das Serielle, die Wiederholung per se ist Thema in diesem Schmuck, es ist aber auch ein Prinzip, das in der zeitgenössischen Kunst oft zu beobachten ist. Ich glaube – ohne es genau zu wissen -, dass es kaum Halsschmuck gibt, der so deutlich aus der geometrischen Form kommt wie dein Halsschmuck. Die Kette stellt immer einen perfekten Kreis dar, nicht nur im Zweidimensionalen, sondern in der Dreidimensionalität und wird damit zum Objekt der Unendlichkeit.

 

K.B.: Stolze und doch endliche 1500 Einzelfaltungen bilden ein solches Objekt. Du hast in den 80er Jahren begonnen. Jetzt möchte ich gerne wissen, woher kommt der Wunsch zu falten?

 

Elisabeth Krampe (E.K.): Ich wollte als gelernte Goldschmiedin aus dem Silberblech, aus der Zweidimensionalität in die dritte Dimension. Das geht am leichtesten und mit dem minimalsten Eingriff, indem ich die Ecken des Blechs hoch- oder runterfalte, immer von der Fläche ausgehend und nicht durch das Hinzufügen einer dritten Dimension, eines weiteren Materials, sondern nur aus der Fläche heraus. Am besten kann man es sich vorstellen, wenn ich ein Stück Papier nehme und kein weiteres dazu, sondern nur dieses Stück Papier nehme um in die dritte Dimension zu gehen - somit muss ich falten. Auf einem anderen Weg schaffe ich es nicht und dieser minimalste Einsatz hat mich gereizt. Außerdem habe ich es sehr gerne ordentlich und Faltungen - gerade wenn man sie aneinander reiht – entstanden aus den geometrischen Grundformen, eines Kreises, eines Ovals, eines Rechtsecks oder eines Quadrates sind eine wunderbare Grundlage, all diese 1000 Teile wieder in eine ordentliche Dimension zu bekommen: Hintereinander zu reihen, erst falten dann wieder zusammenzufügen, wieder zusammenzureihen. Das war meine Intention.

 

K.B.: Ich muss vielleicht trotzdem nachfragen: Das Falten in der europäischen Tradition kennen wir natürlich vom Stoff, vom Plissee, einige von den Zuhörenden haben wahrscheinlich ein solches Kleidungsstück zuhause. Mich erinnern die getragenen Ketten an Kragen wie man sie von den Bildern des 16. Jahrhunderts kennt, meist weiße, gefaltete Kragen, die den Hals kaschieren.

 

E.K.: Das ist aber etwas ganz anderes, weil diese Kragen aus einem langen Stück entstehen. Da falte ich ein langes Stück so oft, bis es die Dimension hat, dass es um den Hals geht. Mein Ansatz ist ein ganz anderer, ich benutze ganz viele, verschiedene Faltungen, um wieder ein Rund zu bekommen. Es sind ganz viele einzelne Teile, die zueinander gesetzt werden, insofern ist das wirklich etwas ganz anderes. Die Kragen aus dieser Zeit erinnern ja mehr an die Ziehharmonikafaltung, die auch Kinder oft machen, um Dinge zu basteln und ineinander zu schieben, aber das ist genau das, was ich nicht wollte.

 

K.B.: Wenn du diese 1500 Teile ineinander schiebst, gibt das diesem unglaublich leichten Material, das du gewählt hast, die Dichte, sich auch körperlich zu verhalten.

 

E.K.: Ja richtig, je dichter, desto größer ist die Chance der Bewegung.

 

K.B.: Ich muss trotzdem fragen, einen japanischen Einfluss gibt es nicht?

 

E.K.: Nein, das wäre sicher auch interessant, aber es gibt ihn nicht.

 

K.B.: Vielleicht muss man das nochmals ausformulieren, was genau passiert: Es sind einzelne Papierteile, die ineinander geschoben werden, dann gibt es etwas, das die Kette zusammenhält.

 

E.K.: Ja, es ergibt eine Strecke und wenn diese lange genug ist, kann ich sie zu einem Rund zusammenfügen. Wir können es oben in der Ausstellung sehen oder auch hier an einem Original. Wir können die Kette durchgeben, wenn Sie sie einmal in die Hand nehmen wollen, dann haben Sie eine Vorstellung, wie Papier zu einem Schmuckstück werden kann. Als „Seele“ läuft eine Spiralfeder durch und diese ist nur über die ganze Länge dehnbar, sodass der Kopf durchpasst – das hält sie wunderbar aus.

 

K.B.: Was man jetzt – in der Bewegung - sehr gut sieht, ist das assoziativ Organische, das das Objekt in sich trägt. Gestern hat Eva erwähnt, dass es sie an Pilzlamellen erinnert. Es hat also auch etwas aus einer Welt, die wir kennen, ein Wiederbauen auf eine Natürlichkeit, eine Assoziation, die man erkennt. Welches Papier ist das?

 

E.K.: Das hier ist ein altes Papier, in das man früher Werkzeug eingepackt hat, damit es nicht rostet - es war z.B. mit Öl getränkt. Aber alle Ingredienzien, die in diesem dreigeschichteten Papier waren, sind inzwischen verflogen. Es ist wirklich ein sehr altes Stück.

 

K.B.: Ja, es gibt unterschiedliche Papiere, wir werden oben noch mehrere sehen, es gibt Fotopapiere, koreanisches Fußbodenpapier oder Atlanten. Es bilden sich dabei auch immer wieder Muster ab, mehr davon noch später. Etwas, was interessant ist, fand ich im Text von Werner Wolf: Er schreibt, deine Arbeit sei inspiriert von konstruktiver und konkreter Kunst, einer streng auf den Geometrien der Form aufgebauten Kunstrichtung. Um das zu bestätigen, wollte ich Ihnen allen etwas zeigen. Ich habe von dir einen netten Brief bekommen, der mir ein bisschen etwas erzählt hat über deine Arbeiten. Ich habe ihn ausgedruckt und wollte Ihnen zeigen, was im Hintergrund des Briefes ist und dein Briefpapier markiert: Es sind die Grundformen, Kreis, Quadrat und Dreieck, die ich hier als Basis deines Denkens manifestiert sehe?

 

E.K.: Ja, so denke ich. Das ist mein Stempel: Der Kreis steht für das E und das Quadrat für das K.

 

K.B.: Aus dem heraus kann man auch die Nähe zur konkreten Kunst sehr gut erklären: Wenn wir wieder zurückgehen auf die Situation, dass wir ein Stück Papier haben, das wir einfalten, verstehen wir den Schritt von der zweiten in die dritte Dimension. Da gibt es Ähnlichkeiten mit den Arbeiten von Max Bill, wo es immer wieder um das Kreissegment geht, das sich in den Raum hinaus arbeitet und von der Linie, vom Zweidimensionalen in die dritte Dimension, also in die Kugelform ausklappt. Und wenn wir die Zeichnung noch einmal anschauen, dann sehen wir Kreise, Kugeln, Einschnitte. Alles geht vor unseren Augen auf. Da gibt eine bestimmte Nähe von der geometrischen Form zu einer Philosophie der Einfachheit, die für mehr steht als nur für ein logisches Spiel mit der Grundform. So wie auch der Kreis selbst für uns auch mehr darstellt als eine endlose Linie – sondern für eine Metapher, für einen Hinweis auf etwas Metaphysisches.

 

Etwas anderes, was an dieser Kette auffällt und ich glaube, Sie haben es bemerkt, da Sie sie angreifen durften, ist die Unregelmäßigkeit. Diesen Aspekt halte ich für etwas Wesentliches. Wenn wir die Arbeit anschauen, fühlen wir, dass sie nicht von einer Maschine gemacht ist. Dann wäre sie viel präziser, vielleicht zu präzise.

 

E.K.: Ja, viel zu präzise, weil das Licht dann keine Chance mehr hat, den Effekt zu erzielen, den ich gerne möchte. Ich möchte Lichtbrechungen haben, ich möchte, dass das Licht bei der Bewegung der Trägerin über diese Kette hinüberwischt. Einmal wird das Licht in die Lamelle hineinfallen und wird sich über diese Faltung brechen können und auf der anderen Seite wird sie über die Faltung hinweg wischen und dieses Licht wird diesen Effekt bringen, den ich möchte. Das geht nur, wenn ich die einzelnen Blätter für jede einzelne Faltung selbst schneide. Sobald ich ein Stanzwerkzeug einsetze, wird es zu gleichmäßig und das Licht hat keine Chance mehr, sich zu brechen. Also, die Unzulänglichkeit des Menschen mache ich mir in dem Fall wirklich zunutze. Nur wenn ich zu ungenau arbeite, hat das Licht keine Chance mehr. Ich muss es genau austarieren.

 

K.B.: Also der sogenannte Fehler, der ja eigentlich kein Fehler ist, ist, wie wir schon von den romanischen Kirchen wissen, das überragende Ereignis. Das, was uns als Menschen erkennbar ist, ist eigentlich dieser Fehler.

 

E.K.: Der Fehler ist sehr individuell!

 

K.B.: Ja, der ist sehr individuell, und er lädt das Objekt emotional auf. Ich glaube, das ist ganz wesentlich in der Arbeit, dass dieses Emotionale im Händischen wieder zum Tragen kommt.

 

Im Bereich der Ästhetik ist der Fehler ja immer wieder ein großes Grundthema: Den kennen wir vom Schönheitsfleck der Cindy Crawford - den viel geliebten und hoch bezahlten - bis hin zu den Entdeckungen Amerikas oder der westindischen Inseln, die aufgrund eines Fehlers zustande kamen. 

 

Bei allen Ketten zeigt sich erst bei geschlossenem Rund die Qualität der Arbeit. Tatsächlich ist es auch so, dass wir im Rund Schlitze entdecken können, wo sich das Licht hineingräbt oder Farbabstufungen, die erst über die langsame Zusammenstellung der einzelnen Schichten sichtbar werden.

 

Ich habe an Richard Sennetts Buch Handwerk gedacht, als ich über dein Schaffen nachgedacht habe und natürlich habe ich mir dabei auch überlegt, wie lange so etwas dauert. Wenn es, wie du sagst, ca. 1500 Teile sind, die ineinander greifen - hat das eine bestimmte Dauer. Bis eine Kette zustande kommt, dauert das, schon darum, weil sie vielleicht nicht der Vorstellung entspricht und dann wieder auseinandergenommen wird.

 

E.K.: Ja genau!

 

K.B.: Im Handwerk, beschreibt Sennett wunderbar, dass es 10.000 Stunden dauert, bis wir etwas können. Das ist eine ganz wunderbare Zahl, eine Annahme - ob das immer so ist, sei dahin gestellt. Ganz sicher braucht es aber lange Zeit, bis wir uns etwas aneignen, denn tatsächlich hat das Können und damit auch das Handwerk etwas mit physischem Wissen zu tun. Sennett beschreibt, wie das Wissen dann am Schluss in den Fingerspitzen lebt! Bei dieser Überlegung habe ich mir deine Hände angeschaut. Es ist wie beim Klavierspieler, der 10.000 Stunden am Klavier sitzt und sein Stück weiß. Er weiß es nicht nur hier (zeigt auf den Kopf und das Herz), er weiß es auch hier (zeigt auf die Hände). Ist das bei dir auch so? Kannst du das beschreiben?

 

E.K.: Ja, ich weiß (zeigt auf ihre Hände). Die Hand macht alles: Die Hand sucht erstmal das Papier aus (sie fühlt). Dann schneidet die Hand mit der Schere das Papier aus, die Hand faltet es und die Hand fügt es zusammen. Also, die dreißig Jahre, die ich das mache, sieht man.

 

K.B.: Das spürt man wahrscheinlich auch?

 

E.K.: Ja klar. Weil du vorhin von Fehlern gesprochen hast: Es werden immer weniger, weil ich mir mehr vorstellen kann, wenn ich an einer Kette weitermache, ob es taugt oder nicht. Vor zehn oder zwanzig Jahren war ich noch nicht soweit. Da musste ich erst ein gewisses Stück fertigen, um dann festzustellen, dass es nicht so ist, wie ich es gerne hätte.

 

K.B.: Eine der Arbeiten hat ein bestimmtes Muster, da wusstest du genau, wo du faltest, entlang einer Buchstabenreihe. Die Kette hat ein Moiré-Muster, erinnert an Webstoffe. Allerdings ist das eine Assoziation des Betrachters und im Prozess des Schaffens ist es aufgrund solcher Erinnerungen eher ein rückwärtiges Bauen von etwas, das man vielleicht später assoziativ erkennt. Gestern erwähntest du dazu, dass du nicht treibst oder schaffst, sondern baust.

 

E.K.: Ja, es ist ein Aufbau. Und bei dieser Kette wusste ich genau, wie ich schneiden muss, wo ich falten muss und wie sie hinterher aussehen wird. Das geht aber nur, wenn man es schon dreißig Jahre macht.

 

K.B.: Die Falte ist mitunter auch das, was für uns das Nächste ist: Stoff, der sich auf uns faltet etwa. In der Deleuze'schen Interpretation ist die Falte das, was Geist und Körper zusammenhält: Die zwei Teile, die Jahrhunderte als zwei Gegenüber unserer Existenz galten, sieht er über eine Faltung zusammengebracht. Eine, für mich wunderschöne Assoziation: Diese Körper-Geist-Verbindung entsteht im gegenseitigen Einfalten und wird dann als Bild zu dem, was am Körper getragen wird. Das kommt deinem Werk hier sehr nahe, da es sich - wie ich gehört habe - an den Körper anschmiegt.

 

E.K.: In fast allen Fällen, es gibt Ausnahmen, aber die meisten Ketten schmiegen sich an den Körper an.

 

K.B.: Jede Arbeit - hast du mir erzählt - ist ein Neubeginn. Auch wenn du sehr viel weißt über das, was entsteht, ist es dann spannend, wenn du es ruhen lässt und erst später zurückkehrst. Ist das Papier dann ein neues oder wird der Vorgang nach einer gewissen Zeit zu einem Neuen, wenn du dich wieder in die Situation begibst?

 

E.K.: Ich arbeite in Intervallen, also beispielsweise ein halbes Jahr ausschließlich mit Papier und dann lass ich es wieder ruhen und arbeite vielleicht das nächste Jahr gar nicht mit Papier und irgendwann kommt dann wieder die Phase, in der es mich so juckt, dass ich wieder anfange. Es ist deshalb so wichtig, weil die Art der Faltung, in die ich mich hineinmanövriere, mich dann irgendwann nicht mehr loslässt, es würde sich totlaufen. Ich könnte dann noch fünfzig oder hundert Ketten machen, sie würden sich nicht wesentlich von der Kette unterscheiden, die ich am Anfang dieser Periode gemacht habe. Wenn ich aber aufhöre, ganz rausgehe aus dem Metier und nach einer Zeit wieder anfange, dann ergibt sich wirklich etwas ganz Neues. Das war bis jetzt immer so. Es hat noch nie eine Situation gegeben, in der ich wieder auf das alte Muster verfallen bin, es sei denn, jemand trägt mir Papiere zu, und ich erkenne ganz klar, jetzt mit der Erfahrung, dieses Papier würde sich für eine Kette, die ich vor fünf Jahren gemacht habe, hervorragend eignen. Dann bin ich gerne bereit, da nochmals einzusteigen.

 

K.B.: Wir haben über das Objekt gesprochen, über dessen Schönheit, über die Hand, über das Handwerk, das dahinter steht, aber auch über die Herkunft, über eine Verwandtschaft mit der bildenden Kunst. Gleichzeitig ist es aber auch ein angewandtes Objekt, das du manchmal auch für jemand oder für eine bestimmte Situation schaffst.

 

E.K.: Es hebt den Menschen, das kann man immer wieder sehen, weil es das Bewusstsein ändert. In dem Moment, in dem ich so eine Kette trage, ändert sich mein Bewusstsein, ich stehe anders - automatisch. Vielleicht kann man das heute noch nachvollziehen. Bei all den Damen, die heute Abend eine Kette tragen, hab ich sofort bemerkt, sie strecken den Rücken - sie stehen plötzlich ganz gerade da.

 

K.B.: Es geht auch nicht anders!

 

E.K.: Ja genau, es hebt die Frau - das Bewusstsein. Es macht jede Frau, jeden Menschen schöner, mit einer gewissen Körperspannung dazustehen. Es macht Spaß, das zu beobachten.

 

K.B.: Genau, dein Faltenobjekt macht von innen und außen schön: Der große "Fraueneinkleider" und Faltenkünstler Issye Miyake würde wohl fast ein wenig neidisch!

 

E.K.: Oh! Danke!

 

Besucherfrage: Wenn Sie diese Ausstellung (DER GEFALTETE RAUM 2.0) sehen, bekommen Sie da Lust, etwas Neues zu machen?

 

E.K.: Ja, diese Ausstellung hier fasziniert mich unglaublich, weil ich selbst am Anfang lange Zeit ausschließlich mit weißem Papier gearbeitet habe. Diese Ausstellung zeigt aber ganz besonders gut, dass die Arbeit mit weißem Papier ganz stark auch vom Schatten lebt. Ich denke, das lässt uns so begeistert sein von dieser Ausstellung. Licht macht Schatten. Und es ist unglaublich, wie reizvoll es hier aufgebaut ist. Diese Ausstellung ist eine ganz große Unterstützung für das, was Sie in meiner Ausstellung in der oberen Etage sehen. Da kann ich den Schatten nämlich nicht gebrauchen. Also, sobald Sie Schmuck machen wollen und die Damen, die ihn tragen, zur Geltung bringen möchten, ist Schatten eine ganz unangenehme Geschichte. Aus dem Grund habe ich mich immer mehr für schwarzes Papier entschieden, weil das Licht am schönsten ist auf schwarzem Papier und weil die Damen mit schwarzen Ketten auch immer ganz besonders wirken. Aber Sie haben vollkommen Recht: Es ist sehr inspirierend, hier durchzugehen, vor allem, wenn man sich schon so lange mit Papier beschäftigt. Soweit ich es verstanden habe, handelt es sich hauptsächlich um StudentInnen-Arbeiten und das finde ich wirklich ganz großartig, auch in dieser Räumlichkeit, mit diesen weißen Wänden und auch mit dieser Lichtbrechung, die ja schon im Raum passiert. Es passt hervorragend zusammen!

 

K.B.: Ich danke dir für das Gespräch!

 

 

 


ELISABETH KRAMPE, geboren 1953 in Münster, Deutschland. Von 1982 bis 1988 Studium an der Akademie der Bildenden Künste Nürnberg, Meisterschülerin bei Professor Hößle. Seit 1988 freischaffend tätig in Nürnberg. 1989 Lehrauftrag für Schmuckgestaltung an der Akademie der Bildenden Künste Nürnberg. Seit 1987 zahlreiche Ausstellungen und Ausstellungsbeteiligungen in Deutschland, Frankreich, Italien, den Niederlanden, der Slowakei und Korea. Auszeichnungen und Preise: 1989 Debütantenpreis des Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst, 1999 Silver Prize bei der Chongju International Crafts Biennale Seoul/Korea, 2000 Grassipreis der Sparkasse Leipzig, 2001 Niggemann Preis Hamburg, 2009 Kunstpreis der Nürnberger Nachrichten, 2012 Erster Preis 16. Zeughausmesse Berlin. Arbeiten der Künstlerin befinden sich in folgenden Sammlungen: Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, Grassi-Museum Leipzig, Lotte Reimers Stiftung Deidesheim, Schmucksammlung Haut-de Cagnes sur Mer, Frankreich.


KATRIN BUCHER TRANTOW arbeitet seit 2003 als Kuratorin, seit 2012 auch als stellvertretende Leitung und Chefkuratorin am Kunsthaus Graz. Geboren 1971 in St. Gallen/CH. Lebt und arbeitet in Graz. Studium der Kunstgeschichte und Geschichte an der Universität Basel. 2001-2003 war sie Kuratorische Assistenz an der Kunsthalle Basel.
Auswahl kuratierter Ausstellungen: Alina Szapozcnikow, Kateřina Vincourová and Camille Henrot, Constantin Luser, Landschaft in Bewegung, Katharina Grosse, Berlinde de Bruyckere; Cittadellarte, Teilen und Verändern; Michael Kienzer; Vermessung der Welt, Heterotopien und Wissensräume in der Kunst; Roboterträume (mit dem Museum Jean Tinguely, Basel); Leben? Biomorphe Formen in der Skulptur; Albert Oehlen; M Stadt, Europäische Stadtlandschaften; Sol LeWitt; Verschiendene Beiträge in Katalogen und anderen Publikationen wie Camera Austria International, Domus und Parnass.